Baulärm, Staus und Rosenduft

 

Viel zu schnell vergeht die Zeit in dem schönen Ferienhaus. Einmal auf den Geschmack gekommen, schwimme ich jeden Tag eine Runde im See. Ansonsten genießen wir die Ruhe und Natur, kochen lecker, lesen, spielen Karten. Soviel Müßiggang sind wir gar nicht gewöhnt. Sogar ein kräftiger Regen ist uns für eine Nacht vergönnt. Am nächsten Morgen duftet der Wald noch intensiver und auf dem See wabert Dunst. Wenn es uns langweilig wird, fahren wir nach Borås und entdecken immer neue interessante Ecken.

 

 

 

Seit 2008 hat sich Borås mit der „Skulpturenbiennale einen Namen gemacht. Die Kunstwerke stehen überall in der Stadt.

 

 

 

Am bekanntesten ist Jime Dines übergroße Pinocchio-Figur an einem Verkehrskreisel.

 

 

 

Auch Fassadenkunst ist überall zu sehen und verschönert so manch triste Hauswand.

 

 

 

Fahrt zum „Gourmettempel“ im 6 km entfernten Sexdrega. Die Pizzeria ist aber eher ein ungemütlicher Imbissstand. „Hier will ich nicht sitzen. Lass uns die Pizza mitnehmen. Wir backen sie dann im Ferienhaus kurz auf“, schlägt Peter vor. Das Riesenteil geht kaum auf das Backblech, so groß ist sie. Wir haben eine Familienpizza gewählt und deren Dimension etwas unterschätzt. So ist auch noch für die nächste Mahlzeit gesorgt.

 

 

 

Und dann ist es Zeit für die Rückreise. Etwas wehmütig nehmen wir Abschied vom fantastischen Panorama und der netten Unterkunft. Nächstes Ziel ist Göteborg, wo wir zwei Tage eingeplant haben. Unser Hotel liegt im Zentrum und bietet ein stylisches Ambiente. Das skandinavische Design begeistert uns immer wieder. Funktional und gleichzeitig unkonventionell.

 

 

 

Göteborg ist zur Zeit eine riesige Baustelle. Sightseeing und Fotografieren ist daher oft nicht möglich oder es sind weite Umwege und eine große Portion Gelassenheit erforderlich. Viele Straßen sind gesperrt oder hinter Bauzäunen versteckt, ganze Häuserreihen eingerüstet. Baucontainer, Baumaterial, Berge von Aushub. Grund für das Baustellenchaos sind Restaurierungen und Neubauten, vor allem aber der Ausbau des Schienennetzes mit dem Tunnel „Västlänken“. Für seine Streckenführung müssen drei Millionen Kubikmeter Erde und Gestein bewegt werden.

 

 

 

Wir erreichen das futuristische Opernhaus – Baustelle. Das Kronhuset, das älteste erhaltene Gebäude Göteborgs ist eingerüstet.

 

Hurra, ein Foto ist möglich: Der Hafen Lilla Bommen mit dem Skanskaskrapan im Hintergrund., einem 22-stöckigen Hochhaus. Wegen seiner teilweise roten Farbe und seiner Form wird es auch „Lippenstift“ genannt. Na, den haben wir in Idstein doch auch.

 

Einst Segelschulschiff, heute Museums- und Restaurantschiff: Die Viking ist die bisher größte in Skandinavien gebaute Windjammer.

 

 

 

Mit den stolzen, etwas steif wirkenden Bürgerhäusern wirkt Göteborg repräsentativ.

 

Etwas „hyggeliger“ geht es im Stadtteil Haga mit seinen alten Holzhäusern, zahlreichen Läden und Kneipen zu.

 

 

 

An einer Einkaufsstraße liegt der Dom. Der neuklassizistische Stil des Innenraums wirkt hell, offen, ohne viel Prunk.

 

 

 

Göteborg ist nach Stockholm die zweitgrößte Stadt Schwedens und steht mit der Hauptstadt in ständiger Konkurrenz. Man hält sich für die modernere Stadt, wähnt sich am Puls der Zeit. Schließlich verfügt man über den größten Export- und Containerhafen Nordeuropas, ganzjährig eisfrei. Außerdem finden in Göteborg zahlreiche Messen und Kulturfestivals statt.

 

 

 

Früher dominierte die Textil- und Werftindustrie, heute die Automobil- und Pharmaindustrie. Bei einem Automobilzulieferer sind auch die vier Geschäftsleute am Nebentisch beschäftigt. Mit seriösen, ernsten Mienen besprechen sie geschäftliche Dinge. Offensichtlich wird der Älteste unter ihnen zum Essen ausgeführt. Er kommt aus dem Ausland, weshalb man auch englisch spricht. Wir sitzen im Skyview-Restaurant des Riverton Hotels und lassen es uns gut gehen, genießen das wunderbare Panorama und das delikate Menü.

 

 

 

Dabei schweifen unsere Blicke immer wieder zu dem Quartett nebenan. Das lässt es ordentlich krachen. Jeder süffelt zwei Sherry als Aperitif (je € 13). Während der Vorspeise trinken sie zusammen eine Flasche Weißwein (€ 75). Zum Hauptgericht – dicke Filetsteaks – wird eine Flasche Bordeaux geköpft (€ 90). Ein roter Cocktail (je € 15 ) begleitet das Dessert und zum Kaffee gönnt sich jeder noch einen Cognac (je € 20). Das Lachen der Männer wird lauter, ihre Späße alberner, ihre Sprache nuschelnder, ihr Gang schwankender und ihre Gesichter werden zunehmend röter. Jetzt wirken sie gar nicht mehr wie rationale Businessleute, sondern eher wie kleine Jungs, die einen Streich aushecken.

 

Schade, dass es kein Geruchs-Internet gibt – unzählige Rosenarten im Park umschmeicheln mich mit ihren unterschiedlichen Düften. Wie soll ich die beschreiben? Von leicht und spritzig bis voluminös und betörend. Fein-pudrig, würzig, verspielt, fruchtig. Mal scheint eine Meeresbrise den Rosenduft her zu wehen, mal erinnert er mich an zarte Babyhaut oder an eine schwere ölige Substanz.

 

Yoga im Park - und die Möwe schaut zu.

 

 

 

Letzte schwedische Station auf unserer Rückreise ist nochmal Malmö. Auf der Hinreise erlebten wir den Altstadtplatz Lilla Torg trubelig und voll besetzt. Wir wagen uns gar nicht vorzustellen, wie es heute Nacht dort zugehen wird, denn es ist Mittsommer. Daher erwägen wir, im Hotel zu bleiben. Auf volltrunkene Jugendliche haben wir nämlich keine Lust. „Lass uns wenigstens mal kurz schauen, was da abgeht. Ich bin einfach neugierig“, gebe ich zu. Also machen wir uns nach dem Abendessen, das im Hotel inklusive ist (tolles Preis-Leistungs-Verhältnis), auf den Weg.

 

Um so erstaunter sind wir, dass die Straßen fast menschenleer und bis auf ein Restaurant alle Lokale geschlossen sind. Dort wird gegessen und – zumindest bis jetzt noch – in ganz normalem Maß Alkohol konsumiert. Am Eingang kontrollieren zwei Security-Leute die Gäste. Sogar in deren Taschen und Rucksäcke wird geschaut. Wir trinken ein Bier und kehren dann ins Hotel zurück. Mitsommer in einer schwedischen Großstadt hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt.

 

 

 

„Oh Mann, das ist ja eine riesige Schlange am Fährhafen. Das dauert bestimmt eine gute Stunde bis wir dran sind“, stöhnt Peter und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Im Auto sind es trotz Klimaanlage 30 Grad. „Ne ne, mein Schatz. Wir haben doch das Flexi-Ticket und dürfen die „VIP-Line“ benutzen.“ Der beste aller Ehemänner staunt nicht schlecht, als ich an der Schlange vorbei direkt auf die Fähre fahre.

 

So schnell geht es später nicht mehr vorwärts. Kaum auf der deutschen Autobahn, folgt ein Stau dem nächsten. Auf der Gegenfahrbahn das gleiche Szenario. Es ist Sonntag, trotzdem ist das Verkehrsaufkommen enorm. Dabei hat die Urlaubszeit noch gar nicht richtig begonnen. Verstärkt werden die Staus durch Raser und Drängler oder die ständigen Spurwechsler. Dabei haben Untersuchungen bewiesen, das damit bestenfalls ein paar Minuten eingespart werden können. Wenn überhaupt, denn diese Kategorie der Autofahrer verursacht mit ihrem Verhalten oft erst die „Staus aus dem Nichts“. Und zwar mit einer genau berechenbaren Geschwindigkeit: Mit 15 Kilometern pro Stunde läuft die Stauwelle rückwärts, hat die Verkehrsforschung heraus gefunden. Es gäbe trotz Baustellen usw. keine Staus, wenn alle in der gleichen Geschwindigkeit fahren würden. Das ist natürlich utopisch. Ein Tempolimit würde trotzdem einen guten Beitrag leisten. Wenn jeder 130 Kilometer pro Stunde fährt, muss weniger überraschend gebremst werden. Der Verkehrsfluss würde davon profitieren und die „Staus aus dem Nichts" würden reduziert.

 

„Soll ich schon mal den Backofen anstellen“, reißt mich Peter aus meinen Gedanken. Ich lache. Wir leben lange genug zusammen, dass ich seine scherzhafte Anspielung gleich verstehe „Nein, es gibt heute keinen Kuchen, auch wenn ich im Getriebe rumrühre“, kontere ich. Durch meine Grübeleien abgelenkt, habe ich an einer Steigung zu spät reagiert und suche jetzt verzweifelt den richtigen Gang.

 

Sag noch mal einer, Skandinavien wäre unverhältnismäßig teuer. Der kennt wohl nicht deutsche Familienhotels mit vier Sternen, zum Beispiel das in Bad Schwartau. Zimmer und Bad sind zwar geschmackvoll renoviert, doch alles ist winzig und es fehlen ein Schrank und die Möglichkeit einen Kaffee zu bereiten. Dafür kostet die Übernachtung rund 50€ mehr als in Schweden. Eigentlich hatte ich dieses Hotel wegen seines schönen Spa-Bereichs gewählt. Ich ahnte unsere Muskelverspannung nach dem Staustress. Zwei Saunagänge würden da Wunder bewirken. Als wir aber hören, dass auch Hotelgäste € 25 Eintritt zahlen müssen – pro Person – lockern wir unsere steifen Gelenke kostenlos bei einem Spaziergang im naheliegenden Wald.

 

Dass es auch anders geht, beweist die letzte Unterkunft. Sie heißt „Schlafschön“. Nomen est Omen, obwohl das Hotel an einer Bundesstraße liegt. Der wild wuchernde Garten rund um die Restaurantterrasse ist bezaubernd. Auf jedem Tisch steht ein Strauß Wiesenblumen. Das inkludierte Abendessen ist mit viel frischen Kräutern zubereitet und schmeckt köstlich. Dazu ein halbtrockener, kühler Rosé – ein schöner Ausklang unserer Reise.