Abu Dhabi

 

Prolog

 

Seit zwei Wochen sind wir nun schon wieder zu Hause von unserer Kurzreise nach Abu Dhabi, und noch immer fühle ich mich wie eingewoben in einen Kokon aus Bildern. Vor dem Augenöffnen am Morgen wähne ich mich im Riesenbett unseres Hotelzimmers. Später, wenn ich das Frühstück zubereite, sehe ich den Koch vor mir, der mit geschickten Handgriffen unsere Omeletts brät bis sie perfekt sichelförmig geformt sind. Die Hochhaussilhouette, der Fischmarkt, die üppig mit Blumen bepflanzten Parkanlagen, die Moschee, der Louvre – ständig steigen Bilder in mir hoch.

 

Wie kommt das? Eigentlich bin ich so gestrickt, dass ich da, wo ich gerade bin, konzentriert lebe. Daher denke ich zu Hause kaum noch an die Orte der letzten Reise und wenn, dann eher in blassen Pastellfarben. Unser Aufenthalt in Abu Dhabi aber beschäftigt mich ungewöhnlich lang und bunt. Vielleicht weil er so kurz, dicht und intensiv war? Vielleicht hat mein Inneres aber auch, nach der langen Periode des trüben, nasskalten Wetters in Deutschland, das südliche Licht und die Wärme gierig aufgenommen und dankbare Erinnerungsmarker gesetzt. Oder sind die Bilder in mir deshalb so stark, weil dieser Trip meine anderen Sinne wenig forderte? Keine durch Gewürze und Pflanzen oder auch Müll und Schweiß verursachte Geruchsexplosionen. Keine ratternden Mopeds und laute Musik, kein Hupen und Bellen, kein Hämmern und Streiten, keine schreienden Händler. Aber auch keine Stille. Diesmal musste ich nicht ankämpfen gegen die von mir schnell als unangenehm empfundene Enge in den Gassen oder im Café. Unsere Reiseabstinenz war diesmal recht lang. Um so mehr freut sich nun mein Geist endlich wieder Futter zu kriegen. Voller Eindrücke wird er wohl noch eine Weile mit der Verdauung beschäftigt sein.

 

Das fängt ja gut an!

 

Bequem von zu Hause haben wir bereits online eingecheckt. Am Flughafen in Frankfurt sind daher die Formalitäten schnell erledigt. Als Fernreisegreenhorns bestaunen wir bei der Abfertigung die technischen Neuerungen wie zum Beispiel den Augenscanner. „Den gab es früher noch nicht. Wie lange sind wir nicht mehr geflogen?“, frage ich Peter. „Südafrika war das letzte Mal. Warte mal, das muss 2002 gewesen sein.“ „Ja genau! 2003 haben wir dann unseren MaXXL gekauft und 2005 sind wir ausgestiegen. Wie schnell doch die Zeit vergangen ist.“ „So schnell, dass du jetzt auch schon 60 wirst. Man sieht es dir aber nicht an“, zwinkert mein Mann mir charmant zu. Als das Flugzeug endlich zur Startbahn rollt, bin ich richtig aufgeregt. Ich liebe diese Aufbruchstimmung. „Schön, wieder unterwegs zu sein!“, strahle ich Peter an. Draußen spiegelt sich die Maschine in den Fensterfronten der Gebäude und in den Pfützen. Es regnet schon wieder. Wir fliegen mit Etihad Airways, der staatlichen Fluglinie von Abu Dhabi. Ihre Gründung war eine der Maßnahme zur Förderung des Tourismus als Alternative zur Ölwirtschaft. Service und Ausstattung sollen herausragend sein. Wir können das nicht bestätigen. Die Sitze sind eng wie in anderen Fliegern auch, das Essen und der Wein sogar ziemlich schlecht. Wenigsten kommt durch das große Angebot an Filmen, Musik und Nachrichten keine Langeweile auf.

Der Anflug Abu Dhabis im Dunkeln ist ein Erlebnis. In geometrischen Formen strahlt das Gelb der Straßenbeleuchtung, die Gebäude setzen Leuchtpunkte. So entstehen Lichtinseln inmitten einer totalen Dunkelheit. „Schon die Ankunft ein Highlight! Das fängt ja gut an!“, denke ich. Die Formalitäten im modernen Flughafen verlaufen reibungslos, auch hier kommt neueste Technik zum Einsatz. Unser Abfertigungsbeamte ist wohl der Chef, denn er trägt als einziger eine Uniform mit Kordeln und Orden. Außerdem muss er seinen jungen Kollegen bei jeder Computereingabe um Rat fragen. Etwas ruppig bellt er mir Anweisungen in Englisch zu. Schließlich gibt er mir meinen Pass zurück. „Shukran“ danke ich ihm und da lächelt er ein ganz klein wenig. An der Gepäckausgabe rutschen unsere Reisetaschen als erste aufs Band. Ungläubig schüttele ich den Kopf. Gewöhnlich sind wir bei solchen Abläufen nämlich Pechvögel. Bei unseren Reisen nach Südafrika gab es häufig Probleme mit dem Gepäck. Wenig später sitzen wir im Taxi und genießen die ersten Eindrücke. „Schau, dort hinten die riesige Moschee. Da gehen wir übermorgen hin.“ Ich deute auf das beeindruckende Gebäude. Seine vier Minarette und zahllosen Kuppeln sind effektvoll angestrahlt. Schon diese kurze Fahrt ins Hotel verdeutlicht den Reichtum der Stadt. Abu Dhabi ist die Hauptstadt des gleichnamigen Emirates. Das wiederum das größte der sieben Mitglieder der Vereinigten Arabischen Emirate ist. Hier liegen auch 90% der Ölvorkommen.

Im Hotel werden wir schon erwartet und der Nightmanager hat eine Überraschung für uns: Wir erhalten einen Upgrade auf das gebuchte Zimmer. „70-80 qm sind das doch bestimmt“, meint Peter kurz darauf und schaut sich anerkennend um. Ankleide, separate Toilette und Bidet, Dusche, Badewanne, eine kleine Sitzgruppe, ein Schreibtisch entlang der gesamten Zimmerbreite und ein riesiges Bett. In einer der Hotelbars trinken wir noch ein Bier und holen uns den ersten Schock. „Das sind ja Preise wie in Schweden“, meint Peter.

Das Frühstücksbuffet am nächsten Morgen erschlägt uns fast. Entsprechend der Bevölkerungs- und Gästestruktur bietet es eine unglaubliche Vielfalt aus allen Kulturbereichen. Libanesische Mezze, indische Currygerichte, Scones und Arme Ritter, japanische Misosuppe, Wurst, Käse, Fisch, Obst, Salat, Gemüse, Smoothies, süße Teilchen und Eiergerichte in allen Variationen. Wir kosten dies und das, bis unsere Mägen streiken. „Na, jedenfalls sind wir jetzt so satt, dass es bis heute Abend reichen dürfte. Keine schlechte Sache bei den horrenden Preisen,“ konstatiere ich und tätschle meinen Bauch. Gegenüber sitzt eine ältere Engländerin im kurzärmeligen Sommerkleid mit großzügigem Ausschnitt und lächelt mir verständnisvoll zu, denn auch sie hat tüchtig zugelangt. Ihre dicklichen Oberarme und ihr üppiger Busen leuchten weiß. Ob sie wohl in dieser offenherzigen Garderobe auf die Straße geht? Angemessen ist das für Abu Dhabi keineswegs. Schultern und Knie sollten bedeckt, eng anliegende und allzu offenherzige Kleidung sollte vermieden werden.

 

Prachtvoll, perfekt und irritierend

 

Mit dem kostenlosen Hotelshuttle fahren wir zur Marina Mall. Nicht wegen des Shoppings, sondern wegen des 100 m hohen Towers inmitten des Einkaufszentrums.

 

 

Doch diese Stadt verändert sich rasant, und so erwartet uns hier die erste Enttäuschung. Drehrestaurant und Aussichtsplattform sind nämlich wegen Umbauarbeiten geschlossen. „Dann müssen wir das Panorama eben doch vom Etihad-Tower bewundern“, tröste ich mich. Es ist ja nicht so, dass es keine Alternativen in dieser mit Hochhäusern gespickten Stadt gäbe. Mit ihrer Zeltdacharchitektur zählt die Marina Mall zu den interessantesten Shoppingmeilen Abu Dhabis.

 

 

Innen spiegelt, glitzert und leuchtet es. Interessante Skulpturen, plätschernde Brunnen und immer wieder Glas.

 

 

Ein stylisches Kino und eine Trampolin-Welt für die Kids. Bulgari, Rolex und andere Nobelmarken. Ein Cappuccino kostet € 7, inklusive eines Minicroissants. Uns begegnen Männer in blütenweißen Gewändern, den Kanduras. Auf dem Kopf tragen sie weiße Tücher, Ghutras genannt, die von einem schwarzen Ring, dem Aghal, gehalten werden. Dieser Ring wurde früher zum Fesseln der Kamelbeine benötigt, damit die Tiere nachts nicht wegliefen. Die emiratischen Frauen sind in traditionelle schwarze Abayas gekleidet.

 

 

Die Garderobe sieht nur auf den ersten Blick gleich aus. Schaut man genauer hin, sind Details und Unterschiede auszumachen. Bordüren und Manschettenknöpfe bei den Herren. Raffinierte Schnitte, Stickereien und Glitzersteine bei den Damen. Hin und wieder lugen beim Gehen hautenge Jeans oder filigrane Highheels unter dem schwarzen Umhang hervor. Auch die Kopftücher, die Sheilas, variieren in Farbe und Art, wie sie drapiert werden. Den Niqab, den schwarzen, nur einen Sehschlitz frei lassenden Gesichtsschleier, sieht man nicht allzu häufig. Die Emiratis legen großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Auffallend sind zum Beispiel ihre fein pedikürten Füße. Dicke, gelbliche Hornhautschichten oder ungepflegte Nägel, wie sie uns in Marokko oft ins Auge stachen, gibt es nicht. Die Einwanderer kleiden sich hier wie in ihren Herkunftsländern, was auch akzeptiert wird. Lediglich der indische Sari ist etwas heikel, weil er viel Haut zeigt.

Wir laufen hinüber zum etwa ein Kilometer entfernten Heritage Village, einer Art Freilichtmuseum, das der Reiseführer als touristisches Highlight anpreist. Dort sollen dem Besucher Einblicke gewährt werden in die vergangene beduinische Lebensweise. Wir sind die einzigen, die zu Fuß unterwegs sind. Im Dorf interessieren uns vor allem die klassischen Hütten aus Holz und Palmwedeln sowie die aus Ziegen- und Kamelhaar gewebten Beduinenzelte. Werkzeuge, Waffen, Kleidung und Alltagsgegenstände sind im Museum ausgestellt. Am kleinen Strand liegen ein paar der traditionellen Boote, den sogenannten Dhows. Von hier hat man einen fantastischen Blick hinüber zur Skyline.

 

 

Das ursprüngliche Handwerk wird in diversen Werkstätten vorgeführt. In Marokko haben wir oft den Handwerkern zugeschaut. Ließen uns Schuhe anfertigen, Mosaiktische bauen oder ein Ersatzteil schweißen. Und so machen es dort auch die Einheimischen. Hier ist alles nur „als ob“ und die Bewohner Abu Dhabis decken ihren Bedarf wohl eher im Supermarkt und den Einkaufszentren. Doch den Touristen scheint das Museumsdorf zu gefallen, denn sie kommen in Scharen. Höchste Zeit also, weiter zu ziehen. Gleich nebenan liegt das riesige Theater. Es wurde auf einer künstlich geschaffenen Halbinsel gebaut, die die Funktion eines Deiches erfüllt.

 

 

Vor dem Gebäude steht ein überdimensionaler Mast mit der Fahne der Vereinigten Emirate. Auf den Grünflächen picknicken Paare oder Mütter mit ihren Kindern. Manche haben sich vom Imbiss der Mall Pizza bringen lassen. Aus einem Automaten ziehen wir uns Mineralwasser, das mit umgerechnet 20 Cent extrem billig ist. Auf einer Mauer legen wir eine kurze Rast ein. Fahrzeuge ziehen an uns vorbei, jedes zweite ist ein dicker Schlitten mit verdunkelten Scheiben. Meist 8-zylindrische SUV, aber auch Bentleys und Rolls-Royce. Ganz selten sieht man in Abu Dhabi ein Moped.

Mit dem Taxi lassen wir uns zum Emirate Palace bringen. Taxifahren ist hier so preiswert, dass wir uns gar nicht schlau machen über mögliche Busverbindungen, obwohl Busfahren für Senioren sogar kostenlos sein soll. Die Taxifahrzeuge sind alle gepflegt und riechen angenehm, die Fahrer tragen weiße Hemden. Auf einem Display sind Name, Foto und Lizenznummer des Drivers ersichtlich. Eigentlich wollten wir nur zum Aufgang des Emirates gebracht werden, um Fotos von der majestätischen Treppe und dem imposanten Gebäude zu machen.

 

 

Wir werden aber direkt zum Eingang des exklusiven Hotels gebracht, wo uns eine Schar Livrierter erwartet, die uns beim Aussteigen behilflich sind. Das palastartige Gebäude ist Luxushotel und gleichzeitig Gästehaus der Regierung. Angela Merkel war auch schon hier. Für jeden Herrscher der sieben Emirate ist eine private Suite reserviert. Drei Milliarden Dollar soll der Bau gekostet haben. Innen nimmt uns als erstes betörender Duft gefangen, der aus Messinggefäßen strömt. Gold und Marmor bestimmen die riesige Halle. Als prachtvoll und nobel, aber nicht protzig, könnte man die Atmosphäre beschreiben.

 

 

Wir wundern uns, dass das Schlendern neugieriger Touristen in dieser edlen Herberge toleriert wird. Klassische Musik klingt leise an unser Ohr und wir folgen den Klängen. Vor einem der Cafés musizieren drei junge Frauen in langen Kleidern auf Cello, Klavier und Flöte. Sie spielen jetzt „I just called to say I love you“ von Steve Wonder. Im Café werden die berühmten Camelburger sowie Schokolade in Kamelform, Cappuccino mit Goldpuder und Camelcino, ein Cappuccino mit Kamelmilch, angeboten. So exklusiv das Angebot und das Ambiente sind, so exklusiv sind auch die Preise. Wir schonen unser Reisebudget und verzichten auf eine Kaffeepause. Bevor wir weiter ziehen, benutzen wir die Toiletten des Hotels. Das, was dort golden glänzt, ist auch aus Gold. So vornehm haben wir noch nie gepinkelt.

 

 

Der Ausblick hinüber zu den fünf berühmten, bis zu 300 m hohen Etihad Towers ist fantastisch.

 

 

Lass uns dort hinauf fahren“, schlage ich vor und zeige auf den zweiten Turm, auf dem es ein „Observationdeck“ gibt. „Egal, was es kostet.“ In den fast € 20 pro Person ist ein Verzehrgutschein von jeweils € 10 enthalten, erfahren wir wenig später von der freundlichen Dame am Tresen vor dem Lift. In dem noblen Café in luftiger Höhe bekommt man dafür aber gerade mal zwei Cola oder ein Glas Wein. Bereut haben wir die Fahrt hinauf in die 74. Etage trotzdem nicht. Das Panorama ist überwältigend.

 

 

Von hier oben hat man einen Rundumblick über die Stadt. Leider sind die Fenster mit Mustern und Schlieren aus Sand verschmutzt, so dass das Fotografieren nicht ganz so einfach ist. Der Wind trägt regelmäßig Sand aus dem Landesinneren in die Stadt. „Wie klein das Emirates jetzt aussieht“, staune ich. „Und es wird immer noch weiter gebaut. Schau, dort hinten wird schon wieder eine Insel erschlossen.“ Peter deutet auf einen Flecken Wüste, auf dem es außer Straßen und ein paar Betonplatten noch nichts gibt. Sand und Salz – das ist das eigentliche, ursprüngliche Abu Dhabi. Die Wüste ist für die Emiratis auch etwas Erhabenes geblieben, trotz aller moderner Errungenschaften. Sie bedeutet für sie Heimat. Mittlerweile haben wir uns an einem der Tische nieder gelassen, um unseren Verzehrgutschein umzusetzen. Zum sehr guten Rotwein werden Oliven und Erdnüsse gereicht. Hungrig greifen wir zu. „Was ist Dein Resümee vom ersten Tag?“, frage ich Peter. „Gigantisch“, antwortet er. „Ja, alles ist so perfekt und ästhetisch. Aber auch künstlich. Einerseits faszinierend, andererseits irritierend.“

Am Abend sehen wir dann doch noch etwas vom „normalen“ Leben „normaler“ Leute. Zu Fuß schlendern wir durch das Viertel gegenüber unseres Hotels. Dort gibt es ein „American Rock Bottom Café“, das gutes Essen zu verhältnismäßig akzeptablen Preisen und Live-Musik ab 22 Uhr bieten soll. In dieser Gegend sind die Häuser nicht mehr ganz so hoch und nicht mehr ganz so gepflegt. „Da bröckelt ja sogar Putz von der Fassade“, stelle ich fest, als wir an einem älteren Wohnturm vorbei kommen. Irgendwie freut mich das. Es symbolisiert ein wenig Normalität in all der künstlich geschaffenen Infrastruktur. Die Balkone am Gebäude sind winzig, auf jedem ist eine Klimaanlage installiert. „Wahrscheinlich wohnen hier die etwas besser gestellten Einwanderer“, mutmaße ich. Die philippinischen Bauarbeiter werden, wie ich gelesen habe, weit außerhalb in Containerbehausungen untergebracht. An der einen Ecke ist eine Wäscherei, an der anderen ein Herrenfriseur. Ein Blumenladen, ein Spielzeuggeschäft, mehrere Imbisslokale mit Plastikstühlen und Neonbeleuchtung. Wir kommen auch an mehreren kleinen Supermärkten vorbei, wo wir nur Männer beim Einkauf sehen, meist indischer oder pakistanischer Herkunft. Gern würde ich mich dort ein wenig umsehen, denn das Warenangebot eines Supermarktes lässt doch immer gewisse Rückschlüsse auf das Land zu. Aber die Geschäfte sind dermaßen voll, dass wir den Versuch, hinein zu kommen aufgeben.

 

Ursprünglich, aber nicht lebhaft

 

Wir laufen die Corniche, eine insgesamt acht km lange Küstenpromenade, Richtung Osten bis zum Fischmarkt. Tor zum Markt ist eine Hochhaus-Bauruine. Das gibt es hier also auch. Die Hafengegend ist gepflegt, strahlt jedoch nicht diese Hypermodernität wie im Zentrum aus. In der riesigen, blitzsauberen Markthalle wird eine unglaubliche Vielfalt an Fischsorten angeboten.

 

Die ausschließlich männlichen Verkäufer tragen alle Plastikhauben über dem Haar. Wir haben ja bereits viele Fischmärkte kennengelernt, solch einen ruhigen wie hier allerdings noch nicht. Kein lautes Anpreisen der Ware, kein aggressives Feilschen. Nach dem Kauf wenden sich die Käufer, auch sie sind überwiegend männlich, einer Gruppe weiter hinten wartender Männer in roten Overalls zu. Für ein paar Dirham können sie sich von ihnen die erworbenen Fische entschuppen und filetieren lassen. Gleich neben der Fischmarkthalle ist der Dhow-Harbour, wo zahlreiche traditionelle, hölzerne Frachter ankern. Auf diesen Schiffen segelten einst die Perlentaucher oder die arabischen Händler nach Persien und Pakistan. Heute scheinen sie als Fischerboote zu fungieren. Diesen Rückschluss lassen zumindest die zahlreichen Reusen aus verzinktem Maschendraht zu, die überall im Hafen lagern.

 

 

Einige Dhow-Eigentümer haben sich auch auf Ausflugsfahrten spezialisiert. Wir hatten erwogen, an meinem Geburtstag, also heute, ein „Dinner-Cruise“ mit einer solchen Dhow zu buchen. Der Ausblick von der Küste auf die Skyline im Dunkeln muss sehr schön sein. „Vielleicht ist das aber auch total touristisch“, gebe ich zu bedenken. „Außerdem werden wir wahrscheinlich nicht für beides Muse haben: Zum Fotografieren und zum gemütlichen Essen. Viel lieber würde ich ein Boot ausschließlich zum Bildermachen chartern. Lass uns mal den Concierge im Hotel fragen. Vielleicht hat der ja eine Idee.“

Wir schlendern weiter zum Iranischen Souq, der noch ursprüngliches Markttreiben bieten soll. Heute ist es ziemlich warm und die Sonne brennt. Mir ist es schon ganz schwindelig. Sonnenhut und -creme sollte man in Abu Dhabi immer dabei haben. Natürlich habe ich beides im Hotel vergessen. Zunächst geht es entlang endloser Stände, die Gartenpflanzen anbieten. Hier kaufen vor allem Frauen. Ihre Gatten warten geduldig mit laufenden Motoren in ihren bulligen SUV. Ist ein Kauf zustande gekommen, verstauen die Männer die erworbenen Pflanzen schließlich im Auto. Sogar Emirati, die körperliche Arbeit gewöhnlich ihren Mitarbeitern überlassen, sieht man Paletten voller Geranien schleppen. Das Angebot im Souq umfasst Möbel, Haushalts-gegenstände, Stoffe, Kissen und ähnliches. Massenware in Qualität und Design. Eine schwarz verschleierte Dame hat gerade einen Tisch dieser Kategorie erworben. Was mich irritiert, denn über ihrem Arm hängt ein schmuckes Chanel-Täschchen. Insgesamt ist der hiesige Souq ruhig und langweilig, verglichen mit dem lebhaften, bunten Treiben in Marokko. Wir könnten jetzt noch den Gemüse-Souq und den Teppich-Souq besuchen. Die liegen aber auf der anderen Seite der Hauptstraße und bis dahin sind es circa zwei Kilometer. Mir ist es zu heiß, meine Füße schmerzen und Durst habe ich auch. „Es ist ja schon 16 Uhr. Lass uns zum Hotel zurück fahren und noch ein wenig ausruhen“, schlage ich vor. Für 19 Uhr haben wir einen Tisch im Libanesischen Restaurant im Etihad-Tower reserviert. „Weißt du was? Wir fahren etwas früher hin und trinken vorher noch einen Aperitif in der Bar. Man wird ja nur einmal 60 Jahre alt!“, zwinkere ich Peter zu.

Fein heraus geputzt fahren wir um 18 Uhr los. Ich trage das „Kleine Schwarze“, Peter ein dunkles Sakko. Als wir uns in den Glastüren des Hotelfoyers spiegeln, denke ich zufrieden, dass wir recht passabel aussehen. Die Bar befindet sich in der 62. Etage. Der Blick auf das nächtliche Abu Dhabi ist atemberaubend. Das Lichtermeer dort unten gleicht ein wenig dem Sternenhimmel. 

An den Ampeln sammeln sich Schwärme aus Autorückleuchten wie Glühwürmchen. „Hier ist die Aussicht genauso gut, wie vom Observation-Deck. Wenn wir das früher gewusst hätten!“, stelle ich bedauernd fest. Im klassisch-modern gestylten libanesischen Restaurant im unteren Geschoss sind wir die ersten Gäste. Auf der arabischen Halbinsel gelten Libanesen als die besten Köche. Überhaupt brachten erst die Einwanderer Restaurants und eine abwechslungsreiche Küche in die Region. Unaufdringlicher, aber perfekter Service wird uns jetzt zuteil. Wir wählen ein Menü mit den traditionellen kleinen Köstlichkeiten, Mezze, als Vorspeise. Mittlerweile hat sich an den beiden Nebentischen eine größere Gruppe nieder gelassen, die Damen an dem einen, die Herren an dem anderen Tisch. Offensichtlich handelt es sich um ein Geschäftsessen, denn es fehlt die Vertrautheit zwischen ihnen. Während die Männer sich recht angeregt unterhalten, reden die Frauen nur hin und wieder miteinander. Viel lieber schauen sie ständig auf ihre Smartphones. Noch nicht einmal während des Essens legen sie es aus der Hand. Ein Großteil der Speisen geht unberührt zurück. Welch ein Jammer, denn das Essen ist wirklich delikat. Die unerwartet großen Portionen sind auf den Tellern und kleinen Schüsseln hübsch angerichtet. Dazu werden frisch gebackene, noch warme Fladenbrottaler serviert. Das Lamm- und Hühnchenfleisch ist zart und saftig und schmeckt deutlich nach Zimt. Alles ist köstlich und perfekt.

 

Lichttupfen und Schattenseiten

 

Auf den Besuch des Louvre freuen wir uns ganz besonders, vor allem wegen seiner spektakulären Architektur, von der wir uns eindrucksvolle Fotos versprechen. Erbaut wurde das Museum auf der Insel Saadiyat, auf der ein konzentrierter Kulturbereich mit Theatern und weiteren Museen, unter anderem dem Guggenheim, geplant ist. Neben der Förderung des Tourismus sollen diese Projekte den Bewohnern der Emirate eine Kunst nahebringen, mit der viele von ihnen bisher kaum Berührung hatten und die nichts mit ihren Traditionen zu tun hat. Intension ist, eine interntionale Metropole für Kunst und Kultur zu werden. Der Louvre soll eines Tages für das neue Abu Dhabi das sein, was zum Beispiel die Oper von Sidney für Australien oder das Empire State Buildung für New York ist. Unterstützung fand man beim Louvre Paris. Gegen harte Dollars, versteht sich. In enger Zusammenarbeit mit ihm entstanden der außergewöhnliche Gebäudekomplex sowie das ambitionierte Ausstellungs-konzept. Moderne Architektur sollte mit der Tradition arabischer Bauten korrespondieren. So ließ der Architekt Jean Nouvel 55 neben- und übereinander angeordnete Quaderbauten errichten, die an eine Medina, eine arabische Altstadt, erinnern.

 

 

Darüber wurde eine gewaltige, flache Kuppel von 180 Metern Durchmesser gespannt. Die Konstruktion wiegt 7500 Tonnen und besteht aus 8.000 Metallsternen, durch die Lichtstrahlen wie durch Palmblätter auf die darunter liegenden Gebäude und Wasserflächen fallen.

 

 

Insgesamt hat das Museum eine Fläche von 24.000 Quadratmetern, wovon für Dauerausstellungen 6.000 und für Sonderausstellungen 2.000 vorgesehen sind. Schade, dass nicht auch auf sozialer Ebene ein engagiertes, ungewöhnliches Konzept verfolgt wurde. Wie schön wäre es, könnte der Louvre in Abu Dhabi auch für einen Paradigmenwechsel in Sachen Humanität stehen. Stattdessen wurden die Arbeiter aus Indonesien oder Bangladesch sklavenartig ausgebeutet. Als es auf der Baustelle 2013 zu Streiks kam, wurden Hunderte von ihnen einfach nach Hause geschickt.

 

Gleißend weiß liegen jetzt die Gebäude mit ihren graphischen, kühlen Formen vor uns, spiegeln sich in den zahlreichen Wasserbassins, scheinen gar auf dem Wasser zu treiben. So schön und rein, aber erschaffen in einem brutalen Arbeitsprozess in brütender Hitze. Ich empfand Reisen noch nie ausschließlich als Vergnügen. Enttäuschung, Desillusionierung, innere Grenzen, Misserfolge, Pannen – all das gehört dazu. Und manchmal droht einem, wie hier, die Faszination buchstäblich im Halse stecken zu bleiben. Doch dann siegt sie doch wieder, die Begeisterung für das Schöne. Für die mit der Tageszeit wandernden Lichttupfen, die durch das Geflecht des transparenten Kuppeldaches fallen. Für die Baukunst, die das Dach wie einen Himmel scheinbar frei schweben lässt. Für Harmonie, Kontrast und Perfektion. Für das Engagement von Künstlern und Spezialisten, die in enger Kooperation neue Wege in der Kunst gehen und sich gegenseitig befruchten wollen. Und auch für die Idee, Menschen aus aller Welt zusammenzuführen, um gemeinsam Neues auszuprobieren.

 

 

Drinnen erwartet uns ein Wirrwarr aus Gassen und Plätzen, das ein systematisches Erkunden der Ausstellungsräume nicht gerade einfach macht. Aber vielleicht steckt dahinter ja auch Absicht. Vielleicht will man Kunst anders als gewohnt präsentieren. Mehr zufällig als geführt soll der Besucher die Werke betrachten. Und tatsächlich werden die Objekte nur grob chronologisch dargeboten. Nicht Epoche oder Kunstrichtung sind die Ordnungskriterien, sondern allgemeinere Zusammenhänge. Es wird verbunden, was bisher nicht zusammen gehörte. Eine gotische Jungfrau mit Kind steht zwischen einer 2000 Jahre älteren ägyptischen, stillenden Isis und einer Mutterfigur aus dem Kongo des 19. Jahrhunderts. Überbegriff: universelle Mutterliebe. Eine Seite aus dem Blauen Koran neben einer gotischen Bibel und einer Tora aus dem Jemen. Sokrates, Buddha und Konfuzius als Trio vereint. Doch geht in dieser Suche nach Gemeinsamkeiten nicht auch der Sinn für Nuancen innerhalb von Stilrichtungen und der Schaffenszeit eines Künstlers sowie die geschichtliche und kritische Auseinandersetzung mit den Kunstwerken selbst verloren? Wer sich in der Kunstszene auskennt und sich gezielt Objekte anschauen möchte, wird sicher nicht enttäuscht. Er findet Exponate von der Antike bis zu zeitgenössischer Kunst, von der Terrakottavase aus Griechenland bis zur Installation "Brunnen des Lichts" des chinesischen Künstler Ai Weiwei. Von Leonardo da Vinci bis Picasso, von mittelalterlichen Holzschnitzkunst bis Paul Klee.

 

 

Die wenigsten Besucher scheinen sich dafür wirklich zu interessieren. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, alles mit ihrem Smartphone einzufangen. Wie besessen laufen sie hektisch zwischen den Kunstwerken hin und her, knipsen dies und knipsen das, bevorzugt natürlich ihr eigenes Konterfei. Haare glatt streichen, in lässiger Pose neben der griechischen Statue verharren, Arm ausstrecken, lächeln... „Komm, lass uns gehen!“, meint Peter. „Das wollte ich auch gerade vorschlagen.“

 

 

Scheitern nicht vorgesehen

 

Am Abend wollen wir eigentlich in einem preiswerten, von Einheimischen bevorzugten und malerisch in einem Park gelegenen Restaurant essen. Das alles verspricht zumindest der Reiseführer. Das Zögern des Taxifahrers hätte uns schon stutzig machen sollen. Wir spazieren durch die gesamte Grünanlage. Es ist Freitag und deshalb viel los. Der Freitag ist das, was für uns der Samstag bzw. Sonntag ist. Gläubige gehen morgens zum Gebet und zur Predigt in die Moschee. Danach wird die Freizeit genossen und entspannt. Viele Familien picknicken oder bummeln entlang der Corniche. Einige Damen trainieren beim Walking, selbstverständlich in eine Abaya gehüllt. Vor der Küste kreuzen zahlreiche Boote. Aus jedem schallt eine andere Musik, aber immer westliche. „Weit und breit kein Restaurant zu sehen. Hier verändert sich eben alles rasend schnell“, stelle ich resigniert fest. „Wenn wir aber schon mal da sind, können wir ja die Skyline im Abendlicht fotografieren“, schlage ich vor. „Anschließend gehen wir dann ins Chinarestaurant.“

 

 

So richtig kann sich Peter allerdings nicht auf die Aufnahmen konzentrieren, denn seine Blase drückt. In zügigen Schritten läuft er die Promenade rauf und runter, doch nirgends gibt es ein WC. Papierkörbe, Bänke, Sonnensegel, Brunnen, Rad- und Spazierwege – an alles wurde gedacht, nur nicht an Toiletten. Schließlich rennt er, nun schon recht verzweifelt, durch eine Unterführung auf die andere Straßenseite. Dort wird er endlich fündig. Erleichtert, aber mit einem Ekel im Gesicht kommt er zurück. „Oh, war die schmutzig, richtig eklig“, stöhnt er. Endlich landen wir in dem schon erwähnten etwas „normaleren“ Viertel und essen dort in einem asiatischen Lokal. Wie überall, sind auch hier der Service und das Essen ausgezeichnet, die Portionen reichlich und die Preise hoch.

 

Neben uns sitzt ein Ehepaar aus Südostasien mit einem etwa sechsjährigen Jungen. Die Erwachsenen unterhalten sich mal in ihrer Landessprache, mal in Englisch. Mit ihrem Sohn reden sie ausschließlich englisch. 85% der Bevölkerung Abu Dhabis sind Zuwanderer, die auf Baustellen und Ölfeldern, in Hotels, im Verkauf oder im Service – oft auch in Führungspositionen oder als vermögende Selbständige - arbeiten. Man nennt sie Expatriates, kurz Expats. Ein babylonisches Sprachengewirr. Gemeinsame Sprache ist Englisch oder besser, eine stark vereinfachte Version davon. Es wird nicht erwartet, dass die Einwanderer Arabisch lernen. Die Emirati selbst sprechen das vom klassischen Arabisch abweichenden Golf-Arabisch, das mit den Wörtern der Fremden gespickt ist. Sein Klang ist weicher als das Arabisch, das wir von Marokko kennen.

 

Die einheimischen Emiratis sind also eine Minderheit im eigenen Land und grenzen sich bewusst stark von den eingewanderten Arbeitskräften ab. Sie sind Unternehmer und Führungskräfte in Wirtschaft, Regierung und Verwaltung. Ihnen gehören Hotels, Baufirmen oder Immobilienfonds. Am liebsten arbeitet man mit Leuten aus der Verwandtschaft zusammen, und so bleibt man nicht nur privat, sondern auch in wichtigen Funktionen des Geschäftslebens am liebsten unter sich. Ist man ein alteingesessener Zuwanderer, nennt man sich Lokal oder National. Ein echter Emirati ist man aber nicht. Das sind nur die Bürger ohne Migrationshintergrund, oft zu erkennen an ihren markanten Gesichtern und Hakennasen.

 

Die wenigsten Expats wollen für immer bleiben. Sie sind aus materiellen Gründen oder auch – z.B. Ingenieure, Hotelmanager oder Banker - aus Karriereüberlegungen gekommen. Nach einer Weile ziehen sie weiter oder kehren ins eigene Land zurück. Integration wird nicht erwartet, ist sogar unerwünscht. So bleibt jede Klasse mehr oder weniger für sich. In den einfachen Jobs verdienen die Expats oft nicht viel, aber immer noch mehr als zu Hause. Hürden bei der Einwanderung gibt es nicht, im Gegenteil, jeder ist willkommen. Allerdings ist ein Scheitern in diesem System nicht vorgesehen. Soziale Absicherung? Fehlanzeige. Das Gründen von Interessen-vertretungen, wie zum Beispiel Gewerkschaften, ist verboten. Wer länger als drei Monate arbeitslos ist, wird von den Behörden in sein Heimatland zurück geschickt. Das erklärt auch, weshalb im Stadtbild keine Bettler und Obdachlose zu sehen sind. Auch Straßenkriminalität gibt es so gut wie gar nicht, weil Erwischte mit drastischen Strafen rechnen müssen oder sofort ausgewiesen werden. Drogenbesitz wird mit bis zu 4 Jahren, Drogenhandel mit bis zu 25 Jahren Haft bestraft. Trotzdem steigt auch in Abu Dhabi der Konsum. Wird man betrunken in der Öffentlichkeit erwischt, droht eine Geldbuße oder sechs Monate Gefängnis. Um privat Alkohol kaufen zu dürfen, braucht man eine Lizenz. Dafür muss man diverse Dokumente vorlegen: Miet- und Arbeitsvertrag, Pass, Nachweis eines Mindesteinkommens und eine Bescheinigung, dass man kein Moslem ist. Prostitution ist selbstverständlich ebenfalls verboten, wird aber trotzdem praktiziert, weil sie lukrativer ist, als putzen zu gehen.

 

Schau mal, da hat sich ein englischer Expat wohl eine Filipina angelacht“, flüstere ich Peter zu und deute verstohlen mit den Augen auf das Pärchen rechts neben ihm. Wir sitzen auf ein Bier an der Theke der Sportbar in unserem Hotel. An den Wänden hängen zwölf Flachbildschirme auf denen vier verschiedene Sportereignisse gezeigt werden: Golf, zwei Fußballspiele englischer Ligen und ein Tennismatch. Die Luft in der Bar ist rauchgeschwängert, denn das Rauchen ist gestattet. Das sind wir gar nicht mehr gewöhnt, und unsere Augen beginnen sofort zu brennen. Außer der Asiatin bin ich die einzige Frau in der Bar. Die anderen Gäste sind Männer mittleren Alters, überwiegend Engländer, wahrscheinlich Fachkräfte der Bau- oder Ölbranche. Auffallend ist, dass sie alle irgendwie mitgenommen, verlebt aussehen. Vielleicht arbeiten sie schon seit Jahren hier und das Klima macht ihnen zu schaffen. Oder die unstete Lebensweise und der Alkohol haben Spuren hinterlassen. Aber das sind wohl etwas zu weitgehende Spekulationen einer mit viel Fantasie ausgestatteten Autorin. Die Filipina starrt auf ihr Smartphone, auf dem ein Bollywood-Film läuft. In ihren Ohren stecken Stöpsel. Sie ist kindlich schlank, trägt einen schwarzen Hosenanzug und Highheels. Der Mann an ihrer Seite beachtet sie gar nicht, sondern unterhält sich mit einem Kollegen über technische Dinge. Jetzt bestellt er ein weiteres Bier, das Dritte während der kurzen Zeit, die wir hier sitzen. „Bei den Preisen müssen die Spesen, die er bekommt, großzügig sein“, mutmaße ich. Das Bier wird serviert, der Engländer stürzt es in drei, vier Zügen hinunter. Schließlich gibt er seiner Begleiterin einen Schubs mit dem Arm. Die springt auf, hilft ihm vom Barhocker und packt schnell ihr Handy ein. Noch immer hat sie kein Wort gesprochen. Gemeinsam verlassen sie die Bar. Nur mühsam kann sie seinen schwankenden Gang ausgleichen. „Was für ein mieses Leben“, denke ich, und Traurigkeit beschleicht mich.

 

Leuchten

 

Die Sheikh-Zayed-Moschee muss man gesehen haben. In ihrer heiteren Pracht erinnert sie mich an eine Barockkirche. Mit ihren 80 Kuppeln zählt sie zu den größten Moscheen der Welt.

 

 

2007 fertig gestellt, verbindet sie traditionelle und moderne Architektur. Schon von weiten sind die vier über einhundert Meter hohen Minarette zu sehen. Wieder sind wir mit dem Taxi unterwegs. Unser Fahrer sieht mit seinem langen, schwarzen Bart wie ein indischer Sikh aus, nur ohne Turban. Er wirkt sehr zurückhaltend, fast ein wenig schüchtern. Kaum hat das Fahrzeug den Parkplatz vor der Moschee verlassen, bemerkt Peter, dass er sein Handy darin liegen gelassen hat. Ich rufe mit meinem Gerät im Hotel an und schildere die Situation. Eine genaue Fahrerbeschreibung fällt uns nicht schwer. Bei der Automarke wird es schon schwieriger, und die Taxinummer haben wir beim Ein- und Aussteigen natürlich überhaupt nicht wahrgenommen. „Das Handy kann ich abschreiben“, meint Peter und bemerkt noch fatalistisch: „Komm, lass uns die Moschee besichtigen. Es hilft ja nichts, Trübsal zu blasen“.

 

Wie schon im Louvre, müssen auch hier am Eingang Fotoapparate, Handys, Uhren, Geldbörsen usw. vor dem Scannen aus den Taschen raus genommen werden. Es geht ziemlich hektisch zu, der Andrang ist beachtlich. Wir mögen diese touristischen Massenziele ja eigentlich gar nicht, aber das Bauwerk muss nach unseren Recherchen so beachtlich sein, dass wir uns überwinden. Außerdem haben wir noch nie eine Moschee von innen gesehen. Meistens ist „Ungläubigen“ der Zutritt ja verboten. Nach dem Scannen werde ich in eine Kleiderkammer geschickt, wo ich mir einen Umhang mit Kapuze überziehen muss. So verkleidet, komme ich lächelnd wieder heraus, in der Erwartung, dass auch Peter belustigt grinsen wird. Der steht aber ziemlich aufgelöst vor mir: „Ich habe mein Portemonnaie in dem Gedrängel am Scanner liegen lassen. Heute ist wirklich nicht mein Tag!“ Ein Angestellter sieht unsere Aufregung und fragt, ob wir etwas suchen. Peter erläutert ihm das Malheur. Der junge Mann fragt nach dem Aussehen der Börse und nach Peters Namen. Dann hält er ihm das verlorene Stück hin. Am liebsten würden wir ihm um den Hals fallen.

 

 

Der Weg entlang zahlreicher Wasserbecken bis zum Eingang des Gotteshauses ist gut ausgeschildert.

 

 

Überhaupt ist alles perfekt organisiert. Vor dem Eingang – der Eintritt und sogar Führungen in englisch sind übrigens kostenlos – stehen nummerierte Regale bereit, in denen man seine Schuhe deponieren kann. Wir lassen uns auf einer der Bänke davor nieder und ziehen unsere Sandalen aus. Gut, dass ich Socken zum Überstreifen mitgenommen habe, sonst müssten wir jetzt barfuß laufen. Dann reihen wir uns in den Touristenstrom ein. „Oom, ganz ruhig, Pat, nur nicht aufregen!“, rede ich mir selbst gut zu. Das Verhalten der Besucher verlangt uns viel Selbstbeherrschung ab. Es ist einfach unglaublich, wie respektlos und dreist die Menschen sich verhalten, nur um ein selbstverliebtes Selfie zu schießen. Und es ist bemerkenswert, wie freundlich und ruhig die Ordnungskräfte bleiben, wenn sie wahrscheinlich zum hundertsten Mal an diesem Tag einen dieser Narzissten höflich bitten müssen, hinter die Absperrung zurückzukehren.

 

Erhaben ruht das Bauwerk auf mehr als tausend weißen Marmorsäulen.

 

 

Zarte, wunderschöne florale Muster aus Halbedelsteinen sind in den Marmor eingearbeitet.

 

 

Auch den Boden des imposanten Innenhofs zieren filigrane Blumenranken. Hier können sich 30.000 Gläubige versammeln.

 

 

Im Innenraum finden 10.000 Menschen Platz. Über die Gebetshalle wölbt sich eine vergoldete Kuppel, von der der weltweit größte Swarovski-Leuchter mit über einer Million Kristallen herab hängt.

 

 

Auch der handgeknüpfte Teppich hält mit 7000 qm und 47 Tonnen Gewicht den Weltrekord. Die durch die bemalten Fenster einfallende Sonne hüllt alles in ein sanftes Licht. Nicht die Superlative, sondern dieses Leuchten sowie die helle, klare Schönheit des Bauwerks begeistern uns. So sehr, dass diese Eindrücke sogar die unerträglichen Touristenmassen überstrahlen. „Schön, dass wir hierher gekommen sind“, sind wir uns einig.

 

Plan für diesen Tag ist, von der Moschee mit dem Taxi zum Eastern Mangrove Hotel zu fahren. Von dort soll es ein Wassertaxi geben, das mit einem alten Fährkahn, einer Abra, entlang des Mangrovenwaldes bis zum Hotel Shangri-La fährt. Von dort hat man die beste distanzierte Sicht auf die Moschee im Abendlicht. Bei einem Drink an der Pool-Bar – wahrscheinlich die preiswerteste Art unseren Aufenthalt im Hotel zu rechtfertigen - wollen wir auf das perfekte Licht für Fotoaufnahmen warten. Aber wie so oft, kommt alles anders als im Detail geplant.

 

Hier, an der kilometerlangen Mangrovenlagune im Osten der Stadt, herrscht eine ganz andere Atmosphäre als in den bisher besuchten Stadtteilen. Man wähnt sich fast in einer Naturidylle, so ruhig ist es hier. Vogelgezwitscher, Pflanzenduft. In einem Café trinken wir eine erfrischende Minzlimonade. Gegenüber von uns sitzen drei junge Frauen, bekleidet mit der üblichen schwarzen Abaya. Die Kopfbedeckung ist aber nur lässig über das Haupt geworfen und lässt Haarsträhnen hervor fallen. Alle drei Mädchen haben sehr weiße Zähne, wahrscheinlich gebleicht, rot lackierte Fingernägel und ein dezentes, aber perfektes Make up. Ihr Auftreten und ihre Erscheinung könnte man als sehr weiblich, zurückhaltend, freundlich und charmant bezeichnen. „Wollen wir die Plätze wechseln, dann fotografiere ich sie mal?“, fragt Peter. „Das halte ich für keine gute Idee. Ich glaube, da verstehen die Emirati keinen Spaß, wenn man ihre Frauen ungefragt ablichtet.“ An den Nebentischen rauchen viele Leute Wasserpfeife, sogar einheimische Damen.

 

Wir könnten ja einfach mal dein Telefon anwählen. Vielleicht geht ja jemand dran“, fällt mir plötzlich ein. Und tatsächlich, nach dem dritten Versuch meldet sich die Taxizentrale. Der Fahrer hat Peters Mobilphone dort abgegeben und wird es uns jetzt an unseren Standort bringen. Zwanzig Minuten später steht der schüchterne Bärtige vor uns und überreicht Peter das Handy. Als er unsere glücklichen Gesichter sieht und wir ihm überschwänglich danken, huscht ein freudiges Leuchten über sein Gesicht. Wir zahlen die Taxifahrt fürs Bringen und einen ordentlichen Finderlohn, den er zuerst nicht annehmen will.

 

Können Sie uns sagen, wo das Wassertaxi zum Shangri-La-Hotel abfährt?“, fragen wir kurz darauf an der Rezeption des Eastern Mangrove Hotels. Der freundliche Mitarbeiter bedauert, dass es diesen Service bereits seit zwei Jahren nicht mehr gibt. Peter schaut mich an und grinst: „Ja, ja, ich weiß, hier ändert sich alles rasend schnell.“ Aus der geplanten idyllischen Bootsfahrt wird also nichts und wir nehmen wieder ein Taxi. Gediegenen Luxus strahlt das Shangri-La aus. Von dem verglasten Terrassen-Café hat man einen schönen Blick auf die gegenüberliegende Moschee. Hier können wir aber wegen der Fensterscheiben nicht fotografieren. Außerdem herrscht eine derart vornehm-distinguierte Stille, dass wir uns irgendwie fehl am Platz fühlen. „Schau mal, dort unten ist die Pool-Bar. Aber da werden gerade große Tische eingedeckt. Das sieht nach einer geschlossenen Gesellschaft aus. Ich glaube, wir können das Fotografieren vergessen“, konstatiert Peter. „Mist, der ganze Aufwand für die Katz´“, ärgere ich mich. Wir schlendern durch den bezaubernden Garten, entlang eines künstlichen Bachlaufs. Ein Angestellter deutet auf ein Boot, mit dem er uns zum Souq rudern könne. Wir lehnen dankend ab und müssen lachen. Wir kämen uns ja fast wie König Ludwig auf dem künstlichen Grottensee Neuschwansteins vor.

 

Der Souq ist eine luxuriöse Ladenzeile mit geschmackvollem Kunsthandwerk und zahlreichen Restaurants. In einem finden wir dann doch noch die ideale Lokation für unsere geplanten Aufnahmen. Von der Terrasse ist der Blick hinüber zur Moschee fast ideal. Nur ein perspektivisch dahinter stehendes Hochhaus stört ein wenig. „Alles kann man halt nicht haben“, meint Peter und baut das Stativ auf. Das Timing ist gut. Nachdem wir eine Kleinigkeit gegessen haben, steht die Sonne bereits recht tief und das Licht passt perfekt. Wir bleiben bis zur Dunkelheit, warten, bis das Gotteshaus blau angestrahlt weit zu uns hinüber leuchtet.

 

 

Unter dem Pflaster die Wüste

 

Die Promenade entlang der Küste erstreckt sich über acht Kilometer. Wir laufen sie fast vollständig ab, entlang grüner Rasenflächen und bunter Blumenrabatten. Der Scheich ließ zum Schutz gegen die Sandstürme entlang der Boulevards 150 Millionen Palmen und andere Bäume pflanzen. Überall plätschern Springbrunnen, jedes Hotel verfügt über einen Pool.

 

 

Also fragt sich Peter: „Wo kriegen die eigentlich das ganze Wasser her?“ Der Mythos erzählt, dass 1761 bei der Jagd auf eine Gazelle eine Süßwasserquelle entdeckt wurde, und zwar genau hier auf der Halbinsel auf der sich heute die City ausdehnt. Der Name Abu Dhabi bedeutet „Vater der Gazelle“. Die Süßwasserreserven sind jedoch schon seit den Siebzigern des letzten Jahrhunderts erschöpft. Durchschnittlich regnet es an nur zwölf Tagen im Jahr. Im Sommer können es schon mal 50° C werden. Dann werden sogar die Strandduschen abgestellt, weil man sich an dem heißen Wasser verbrühen könnte. Jetzt im Winter ist die Luftfeuchtigkeit gering, steigt in den Sommermonaten an der Küste jedoch auf 80% an und macht die Hitze unerträglich. Dann flüchten viele Emirati ins Landesinnere. Als wir uns die alten Fotografien im Foyer des Hilton anschauen, wird uns erst so richtig bewusst, dass wir uns mitten in der Wüste befinden. „Unter dem Pflaster die Wüste“, sozusagen. Die Bilder zeigen, dass es hier noch vor 60 Jahren außer Sand und ein paar flachen Gebäuden nichts gab.

 

Wo kommen also die 550 Liter Wasser her, die jeder Emirati im Durchschnitt täglich verbraucht? Am Abend recherchiert Peter das Thema im Internet. Die Versorgung beruht zu 90% auf entsalztem Meerwasser. Durch die zahlreichen Entsalzungsanlagen nimmt jedoch die Salzkonzentration im Persischen Golf zu und wird daher die Trinkwassergewinnung irgendwann unmöglich machen. Über Fernleitungen soll dann auf das Arabische Meer zugegriffen werden. Allmählich setzt ein Umdenken ein und man will auch in ökologischer Sicht Superlative schaffen. Seit 2008 baut man zum Beispiel an der CO2-neutralen Wissenschaftsstadt Masdar City. Ohne Autoverkehr und durch ambitionierte Recyclingkonzepte abfallfrei, soll sie 2025 eröffnet werden. Entwickler ist der renommierte Architekt Sir Norman Foster, der auch die Kuppel unseres Bundestages entworfen hat. Es heißt, Abu Dhabi entwickele sich langsamer und konventioneller, aber nachhaltiger als Dubai.

 

Wenden wir uns wieder der städtischen Wunderwelt auf dem kargen Wüstenboden zu. Wo früher der Zentralmarkt war, ist jetzt das World Trade Center mit den beiden imposanten Hochhaustürmen. Auch sie wurden von Norman Foster erbaut.

 

 

Viel dunkles Holz, Beton und Glas kennzeichnen das Einkaufszentrum, das in seiner Bauweise die traditionellen Marktstände zitiert.

 

 

In einem Gewürzladen kaufen wir Weihrauch, der in unterschiedlichen Qualitäten angeboten wird. Beim Bummeln kommen wir an einem Wäschegeschäft vorbei und staunen. Praktische, strapazierfähige Unterwäsche sucht man hier vergebens. Die Ware als filigrane Dessous zu bezeichnen wäre untertrieben. In Deutschland würde man sie schlicht Reizwäsche nennen.

 

 

Wie ich gelesen habe, ist ihr Tragen völlig normal, und daher verstecken die Damen auch nicht verschämt die mit dem allgemein bekannten Firmennamen bedruckte Einkaufstüte. Das Selbstverständnis der emiratischen Frauen und ihre Stellung in der Gesellschaft sind für uns nicht leicht zu verstehen. Unser Wertesystem verbindet Abaya und Kopftuch automatisch mit Unterdrückung. In dieses Bild passt zum Beispiel nicht, dass 95% der emiratischen Frauen eine höhere Schulbildung haben. Sie studieren und machen Auslandssemester und können Professorin, Polizistin, Ärztin, Designerin, Journalistin oder Sekretärin werden. Das sind auch die Traumberufe der Mädchen, nicht Model oder Popstar. Für mich war überraschend zu lesen, dass es Standesbeamtinnen, Richterinnen und Botschafterinnen gibt.

 

 

Abu Dhabi hat mich begeistert und gleichzeitig irritiert. Die Künstlichkeit faszinierender Hochhäuser inmitten der Wüste. Wasserverschwendung einerseits und ambitionierte Umweltprojekte andererseits. Die Widersprüchlichkeit von Idee und Bau des Louvre. Verschleierung und Patriarchat neben selbstbewusst wirkenden Frauen. Schmelztiegel, bei gleichzeitig strenger Abgrenzung.

 

Aber gerade das macht mich neugierig und weckt mein Interesse. Denn Wohlfühlen und Genießen gehören zu einem Erholungsurlaub, eine Reise wird daraus für mich jedoch noch nicht. Mir ist klar geworden, dass mein Wissen, was diese Region und ihre Kultur betrifft, mehr als dürftig ist. Mit diesem Manko will ich mir kein Urteil erlauben. Mein bisher bewährtes Mittel mich über die Literatur dem Land zu nähern, gestaltet sich schwierig, weil die wenigen Autoren meist nur in arabisch oder englisch publiziert werden.

 

In meinem „Polen-Buch“ stelle ich etwas ratlos die Frage: „Wie soll man also nachempfinden können, wie ein Pole sich in Polen fühlt?“ Dabei sind Polens Landschaft, Geschichte und Kultur der unseren so ähnlich. Weiter schrieb ich: „Bestenfalls gibt es Momente des Verstehens.“ Für Abu Dhabi gilt das ganz besonders.